«Hier und Jetzt»: der Blog

Langeweile

Es ist noch nicht lange her, um genau zu sein sechs Jahre, als in Englang der erste Langeweile-Kongress stattfand. Neben dem Eröffnungsvortrag „Der Farbe beim Trocknen zuhören“, lauteten weitere Vorträge auf diesem ersten Treffen von Langeweileexperten- und praktikern beispielsweise „Die unergründliche Schönheit von Parkhausdächern“ oder „Die Farben meiner Krawatten in den letzten 25 Jahren“.

Die Zuhören haben sich ab all den eigenwilligen Themen tödlich gelangweilt, sind dabei fast eingeschlafen. Mit dem kleinen Nebeneffekt das sich alle total entspannt haben. – Langeweile führt zu einer Pause. Einer Pause vom Alltäglichen. Langeweile entspannt uns und regt die Fantasie an. Neue Ideen entwickeln sich und dennoch kommt die klassische Form des Denkens zur Ruhe.

Geben Sie sich hin. Der Ruhe, der Langeweile, den Pausen.

Written by geraldine

August 23rd, 2016 at 1:03 pm

Entschleunigung, Downshiftung und Achtsamkeit

„Wir leben in einer Beschleunigungsgesellschaft, in der das Gefühl des Gehetzseins zum Dauerzustand geworden ist“, schreibt Ulrich Schnabel in seinem Buch „Musse. Vom Glück des Nichtstuns.“

Selten vergeht ein Tag an welchem ich nicht gefragt werde mit welchen Methoden der Alltagsstress reduziert werden kann. Und selten gibt es einen Tag an welchem ich ausgeklügelte Techniken von mir geben muss. – Denn, eigentlich ist es ganz einfach: Wir brauchen Pausen, Ruhe und Momente des Nichtstuns. – Die Buchhandlungen sind randvoll mit Ratgeberliteratur zu genau eben diesem Thema. Modeworte wie „Entschleunigung“, „Downshiftung“ und „Achtsamkeit“ kleiden die Lifestyle-Magazine von heute. Aber anstelle viel darüber zu lesen, sich einmal mehr mit „etwas“ zu beschäftigen – machen Sie eine Pause. Öffnen Sie das Fenster, atmen Sie durch, machen Sie sich einen Tee und strecken Sie sich ausgiebig so als wäre es früher Morgen. – Das ist Pause, das ist Entschleunigung.

Written by geraldine

Januar 1st, 2016 at 10:07 am

Entschleunigung lässt sich lernen

Könnten wir uns mit dem Lebensstil der Vorfahren begnügen, hätten wir dank unserer technischen Möglichkeiten alle Zeit der Welt. Doch wir reisen zwar schneller, aber dafür weiter, arbeiten effizienter, aber mehr, haben mehr Möglichkeiten, aber höhere Ansprüche. So ist Zeitnot zum Dauerzustand und zum Signum der modernen Gesellschaft geworden. Wir leben in einem System der Gehetzten, konstatiert Ulrich Schnabel, Wissenschaftsredakteur bei der „Zeit“. Und in einem System der Unausgeschlafenen und Gleichgetakteten, ergänzt Till Roenneberg. Sechzig Prozent der Menschen leiden unter chronischem Jetlag, so der Chronobiologe. Und zwar nicht, weil sie viel unterwegs wären, sondern weil ihre innere Uhr nicht zu dem Rhythmus passt, zu dem die Gesellschaft sie zwingt.

Bereitwillig lassen wir uns einreden, Zeitnot sei unser persönliches Problem. Wer sich gestresst fühlt, hat eben kein gutes Zeitmanagement, wer morgens im Büro nicht geradeaus denken kann, hätte eben früher ins Bett gehen müssen. Tatsächlich sind Zeitnot und Übermüdung längst gesamtgesellschaftliche Phänomene, betonen beide Autoren. Schnabel führt aus, was allen hin und wieder schwant: Die tägliche Hetzerei ist nicht nur Gift für unsere Gesundheit, sie bringt uns um die Momente, für die es sich, pathetisch gesagt, zu leben lohnt. Er plädiert fundiert und vielseitig für das „Glück der Muße“ – dafür, öfter mal die Gedanken schweifen zu lassen, zu fragen: Muss ich das tun? Will ich das tun?

Dazu analysiert Schnabel, wie das System der Gehetzten funktioniert und wie es entstanden ist. Er entwirft eine Methodologie, wie man sich Schritt für Schritt Platz für Muße schaffen kann, ohne die eigene Willenskraft zu überfordern, und warnt vor den Fallen, in die nur allzu leicht tappt, wer versucht, Muße wie ein konsumierbares Gut der Verwertungslogik zu unterwerfen. Im System der Gehetzten müsse man die Kunst des Nichtstuns erst wieder lernen. Ohne die bewusste Entscheidung zur Muße bleibe sie aus.

Sich Stress zu machen steckt hingegen in der Natur des Menschen. Evolutionsbiologisch liegt es nahe, immer mehr und immer Neues zu wollen. Das Belohnungssystem unseres Gehirns spricht auf neue Reize viel stärker an als auf bekannte. Doch wir müssen darauf achten, so Schnabel, dass diese Mechanismen uns nicht beherrschen, denn ihre Versprechen sind trügerisch: Auf die Erfüllung des einen Wunsches folgt bekanntlich bald der nächste. Muße bestehe hingegen darin, nicht ständig Wünschen hinterherzurennen, sondern mit den Beständen auszukommen.

Doch die Häppchen-Kultur bestimmt entgegen allen Appellen zur „Nachhaltigkeit“ unseren Alltag. Im Büro ist Multitasking angesagt. Ganze elf Minuten können sich Angestellte einer kalifornischen High-tech-Firma mit einer Aufgabe befassen, zitiert Schnabel eine Forscherin. Dann piept die nächste Mail, klingelt das Telefon, steht der Kollege in der Tür. Dieser Rhythmus hat sich bereits so eingeschliffen, dass sich die Angestellten, wenn denn einmal niemand stört, selbst unterbrechen, Blumen gießen oder Papier sortieren. Dagegen stellt Schnabel Portraits von Sportlern, Unternehmern, Wissenschaftlern, die zu ihrem Mittagsschläfchen stehen, die sich Ruheinseln erhalten und trotzdem (oder deshalb) erfolgreich sind.

Diese erfolgreichen Müßiggänger haben die Wissenschaft längst auf ihrer Seite: Das Gehirn braucht Ruhe, um aufzuräumen, nur ausgeschlafene Menschen sind kreativ und ausgeglichen, und Gehetze macht niemanden glücklich. Fragen Sie einmal nicht, was Sie für Ihr Bankkonto tun können, sondern was Ihr Bankkonto dazu beiträgt, dass Sie das Leben im Hier und Jetzt genießen können, empfiehlt Schnabel. Doch Muße ist nicht unbedingt gleich Freizeit. Erfüllung (oder naturalistisch gesprochen: Flow) erfahren wir oft leichter bei der Arbeit – vorausgesetzt, es handelt sich um Dinge, die wir aus eigenem Antrieb und gern tun. Keine Kontrolle zu haben belastet oft mehr, als stark gefordert zu sein, so Schnabel. Er gibt Anleitungen für den pfleglichen Umgang mit dem allzeit überforderten Arbeitsgedächtnis, dem übervollen Terminkalender, für einfache Meditationsübungen. Und er empfiehlt, die klassischen Strategien der Karriereplanung auch für die Mußeplanung einzusetzen.

Wie steht es mit den neurobiologischen Voraussetzungen der Mußeplanung? Wenn es nach Till Roenneberg geht, müsste ein Imperativ der Mußeplanung lauten: „Folge deiner Innenzeit!“ Die „Innenzeit“, der Chronotyp des Menschen, bestimmt, wann er wach und wann er müde ist. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Chronotypen kann zwölf Stunden betragen. Extreme Früh- und extreme Spättypen könnten sich ein Bett teilen, ohne jemals gemeinsam darin liegen zu müssen, so Roenneberg. Doch für eine solche Variationsbreite ist in der Gesellschaft zu wenig Platz. Arbeitsbeginn um sieben, Schule spätestens um acht. Dummerweise kann ein später Chronotyp früh am Abend nicht schlafen, ein früher nicht bis Mittag im Bett bleiben.

So bekommen späte Chronotypen während der Woche zu wenig Schlaf, weil sie zur Arbeit müssen, wenn ihre innere Uhr gerade Mitternacht zeigt. Frühe Chronotypen leiden am Wochenende, weil sie von den Nachteulen zu Konzerten, Partys und Discotheken geschleppt werden und trotzdem Sonntags beim Bäcker die Ersten sind. Der Autor erklärt, dass die innere Uhr des Menschen genaugenommen aus vielen verschiedenen Uhren besteht, die mehr oder weniger gut untereinander und mit den hellen Tagesstunden synchronisiert sind. Was dazu führt, dass bei einer Fernreise die verschiedenen inneren Organe zu verschiedenen Zeiten in der neuen Zeitzone ankommen, so Roenneberg.

Leider entspricht dem fesselnden Thema keine gute Darstellungsform. In dem Bemühen, es dem Leser leicht zu machen, unterteilt er seine Kapitel in „Fall“, „Hintergrund“ und Erläuterungen in den Fußnoten. So tauchen reale Forscher in erfundenen Geschichten unter falschem Namen auf, was dann in den Fußnoten wieder richtiggestellt wird. Zudem reflektiert der Autor ständig, zu welchem Zweck er welche Geschichten erfunden hat, kritisiert sie selbst als hergeholt oder anthropozentrisch und ist so übermäßig präsent.

Biologische Erklärungen für unterschiedliches Zeitempfinden zieht er kulturellen Erklärungen jederzeit vor. Jugendliche sind nicht in der Schule müde, weil sie abends zu lange in der Disco waren, sondern sie waren in der Disco, weil dies der einzige Ort ist, an dem sie zu später Stunde noch laut sein können, ohne die Nachbarn zu stören. Kommt ein junger Mensch wieder früher aus dem Bett, sei dies ein sicherer Marker für das Ende der Adoleszenz. Statt so zu tun, als müssten wir noch immer im Morgengrauen mit der Sense auf dem Feld stehen, sollten die modernen Arbeitszeiten berücksichtigen, dass wir keine Bauern mehr sind, fordert Roenneberg. Könnten wir nach unserer Innenzeit leben, wären wir weniger müde, besser gelaunt, würden mehr leisten und wären seltener krank. Doch sollte man wirklich keine Chance haben, sich in seinem jeweiligen Schlafverhalten umzugewöhnen? Die starren, auf fixe Schlaftypen gerichteten Prämissen der Chronobiologie haben etwas Beunruhigendes. Durch Roennebergs Buch weht ein eisiger deterministischer Wind. Schnabels Kulturkritik dagegen hält es für möglich, dass der Mensch auch anders kann.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, von Manuela Lenzen

Written by geraldine

September 12th, 2014 at 2:01 pm