«Hier und Jetzt»: der Blog

Drei wichtige Dinge pro Tag

 

Die Zeit-Expertin Anna Jelen empfiehlt, höchstens zwei Mal pro Tag die Mails zu checken und sich auf drei wichtige Aufgaben zu konzentrieren. Hier ein kurzen Auszug aus dem am 14. Januar 2018 im TagesAnzeiger erschienen Interview:

Den Tag pflücken und den Moment geniessen?

Ich empfehle nicht, nur im Moment zu leben – würden wir uns darauf beschränken, hätten wir keine Motivation, etwas aufzubauen, mittelfristig auf etwas hinzuarbeiten. Wir können nicht permanent so leben, als wären wir morgen tot, aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, mit gutem Zeitmanagement allein würden wir unser Zeitproblem in den Griff bekommen. Wenn wir nicht lernen, mehr Nein zu sagen, uns auf wenige wichtige Dinge zu konzentrieren, unser eigenes Lebensbuch zu schreiben, dann brennen wir früher oder später aus oder verpassen unser Leben.

Sie halten also nichts von klassischen Zeitmanagement-Techniken?

Damit werden wir effizienter, aber das ist kein Ausweg aus dem tieferliegenden Dilemma.Mit dem Soziologen Hartmut Rosa bin ich überzeugt, dass es kein individuelles Zeitmanagement-Problem gibt, sondern eine strukturelle gesellschaftliche Herausforderung, die uns zum Umdenken zwingt. Die Beschleunigung des sozialen Wandels, des Lebensrhythmus’ und der Technologie erzeugen weltweit Zeitkrisen. Dazu kommt die Explosion der Möglichkeiten, die uns freier macht, aber auch den Entscheidungsdruck erhöht. Das alles können wir nicht durch klassisches Zeitmanagement meistern. Denn dieses ändert nichts am beklemmenden Gefühl vieler Menschen, sie hätten zu wenig Zeit, ihnen laufe die Zeit davon. Solange wir die Uhr ticken hören, sind wir lebendig und haben Zeit zur freien Verfügung. Die wesentliche Frage ist, wie wir mit ihr umgehen, wofür wir sie nutzen. Wir leben global in einer Zeitkrise und niemand redet davon.

Wie schützen Sie sich konkret davor, dass die Zeit ungenutzt verstreicht und sich Ihr Terminkalender zu sehr füllt?

Ich konzentriere mich darauf, täglich Momente zu kreieren, an die ich mich abends mit Dankbarkeit erinnern werde. Das bedingt eine klare Struktur und Disziplin in der Ausarbeitung und Einhaltung einiger Regeln. So starte ich praktisch nie ohne mein Morgenritual oder Spaziergang in den Tag. Beides steht ganz im Zeichen einer einzigen Frage: «Wie möchte ich mich am Ende dieses Tages fühlen?» Daraus leitet sich alles Weitere ab. Das Geheimnis liegt in der Beschränkung – wir sollten «Not to do»-Listen führen statt viel zu lange «To do»-Listen zu erstellen, die uns frustrieren. Ich nehme mir nie mehr als drei wichtige Dinge pro Tag vor, sage also zur Mehrheit der Möglichkeiten Nein. Und lasse viele Zeitpuffer offen für Unvorhergesehenes. Durch diese morgendliche Ausrichtung starte ich mit Elan und einem Adlerblick in den Tag und vermeide es, mich in der Arbeit oder der Zerstreuung zu verlieren.

Quelle:
„40 tickende Uhren erinnern mich an meine Verantwortung“
TagesAnzeiger, Beruf und Berufung
Mathias Morgenthaler

Written by geraldine

Januar 14th, 2018 at 12:42 pm

Den ganzen Tag macht sich der Mensch Gedanken

Den ganzen Tag macht sich der Mensch Gedanken. Meist alles andere als erbauliche: «Meine Nachbarin hat mich heute nicht gegrüsst. Hat sie was gegen mich? Es kratzt im Hals. Hoffentlich werde ich nicht krank. Was wird mein Chef denken, wenn ich schon wieder fehle? Ich bin eine miserable Angestellte.» Dieses Gedankenradio läuft ständig im Hintergrund, während wir essen, arbeiten, die Zähne putzen oder versuchen einzuschlafen. Der englische Mediziner und Bestsellerautor Russ Harris nennt es den «Ojemine-Sender». Dieser warnt uns vor möglichen Gefahren, erinnert uns an schlechte, vergangene Ereignisse oder teilt uns mit, was alles mit uns nicht stimmt.

Doch weshalb sendet unser Hirn ständig dieses unerfreuliche Programm? Russ Harris erklärt das Phänomen in seinem Buch «Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei» durch die Evolutionsgeschichte. Unser Verstand sei darauf ausgelegt, sich Sorgen zu machen. Unseren Vorfahren in der Wildnis half das, zu überleben. Die Gefahren haben sich jedoch gewandelt: Statt vor dem Säbelzahntiger fürchten wir uns heute davor, unseren Job zu verlieren oder an Krebs zu erkranken. Tief verwurzelt ist bis heute die Angst, den Erwartungen anderer nicht zu entsprechen. Auch das hat einen evolutionären Grund: Für die Urmenschen bedeutete es den sicheren Tod, aus der Sippe ausgeschlossen zu werden.

Erst zulassen, dann handeln

Leider hat das Ojemine-Radio keinen Knopf zum Ausschalten. Also wenden wir andere Strategien an: Wir schieben die schlechten Gedanken und Gefühle von uns, ignorieren sie, lenken uns von ihnen ab, betäuben sie oder versuchen sie durch positive Gedanken zu ersetzen. Aber: «Diese Kontrollstrategien funktionieren meist nur kurzfristig», sagt Klaus Bader, Leiter der Verhaltenstherapie-Ambulanz der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. «Langfristig vergrössern und verlängern sie häufig das Leiden.» Mit anderen Worten: Je krampfhafter wir versuchen, das Radio zum Verstummen zu bringen, desto lauter dudelt es vor sich hin.

Diesen Teufelskreis versucht ein Ansatz aus der Psychotherapie namens ACT zu durchbrechen. ACT steht für Akzeptanz- und Commitment-Therapie (engl. commitment = Engagement). Deren Vertreter schlagen vor, negatives Denken und Fühlen zuzulassen, anstatt zu bekämpfen. «Das bedeutet nicht, die Zähne zusammenzubeissen und das Leiden passiv zu erdulden», sagt der Psychotherapeut Klaus Bader. «Sondern offen zu sein für alles, was gerade an Erfahrungen da ist.» Kommt also zum Beispiel Angst auf, kann man versuchen zu beobachten, wo die Empfindung zu spüren ist, wie sie sich anfühlt und ob sie sich verändert. So lässt sich erkennen, dass solche Gefühle von allein kommen und auch wieder von allein verschwinden.

Bei ACT geht es ausserdem darum, sich um das zu kümmern, was einem wirklich am Herzen liegt – auch wenn sich das nicht immer angenehm anfühlt. «ACT hilft den Menschen zu formulieren, was ihnen wichtig ist im Leben, und diese Werte durch engagiertes Handeln zu leben», sagt Klaus Bader. Werte wie «Dankbarkeit», «Familie» oder «der Umwelt Sorge tragen» dienen als Leuchttürme, die dem Leben auch in schwierigen Zeiten eine Richtung geben.

ACT (ausgesprochen wie das englische Wort «act» = handeln) wurde vom amerikanischen Psychologieprofessor Steven Hayes und Kollegen in den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelt, um psychische Störungen zu behandeln. Wie erfolgreich der Ansatz ist, zeigen knapp 200 weltweit durchgeführte Studien. Insbesondere bei Depressionen, Angst- und Essstörungen, Drogenmissbrauch, chronischen Schmerzen, psychotischen Symptomen und bei Partnerschaftsproblemen konnte die Wirksamkeit nachgewiesen werden. ACT eignet sich aber nicht nur für Patienten mit psychischen Störungen, sondern für alle Menschen. «Menschsein bedeutet auch Leiden», sagt der Winterthurer Psychiater und ACT-Trainer Jan Martz. «ACT hilft, besser mit dem Leiden umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen.»

ACT ist vor allem in den USA, Australien, Grossbritannien, Skandinavien, Spanien und den Niederlanden weit verbreitet. Auch in der Schweiz fasst die Therapie langsam Fuss. Pioniere sind die Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel, wo ACT im Jahr 2012 in das Behandlungskonzept mit aufgenommen wurde. Heute arbeiten weitere Spitäler wie etwa das Psychiatriezentrum Münsingen BE oder die Klinik Barmelweid AG mit ACT, ebenso eine wachsende Zahl niedergelassener Therapeuten mit eigener Praxis.

Zudem existieren viele Selbsthilfebücher, die sich an ein breites Publikum richten. Gerade hat eine Studie der Universität Basel gezeigt, dass das Durcharbeiten eines ACT-Buches Stress, Burn-out und Depressionssymptome reduzieren kann.

Die ACT-Therapie umfasst verschiedene Elemente, die alle miteinander verbunden sind. Akzeptanz ist eines davon. Ziel ist dabei nicht, schlechte Gefühle nie mehr zu bekämpfen oder zu vermeiden. Solche Kontrollmethoden sind laut dem Psychotherapeuten Jan Martz vor allem dann problematisch, wenn sie einen davon abhalten, Dinge zu tun, die einem wichtig sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn jemand gerne Freundschaften pflegen würde, aber aus Angst vor Ablehnung sich mit niemandem verabredet. Oder wenn jemand, der gerne reist, aus Angst vor dem Fliegen zu Hause bleibt. Geübt wird in der ACT-Therapie auch die sogenannte Entschärfung.

Dabei geht es darum, sich von seinen negativen Gedanken nicht mehr so stark einnehmen zu lassen. «Oft verschmelzen wir mit unseren Gedanken. Wir glauben, sie seien die einzige Wahrheit», sagt Jan Martz. «Unsere Gedanken sind jedoch lediglich Geschichten, die wahr sein können oder auch nicht.» Ob sie der Wirklichkeit entsprechen, ist für ACT-Therapeuten wie Jan Martz gar nicht zentral. «Wichtig ist vor allem, ob sie hilfreich sind», sagt er. «Sind sie es nicht, lohnt es sich, die Gedanken zu entschärfen.» Das heisst, sie als das anzusehen, was sie sind: Worte, die einem gerade durch den Kopf gehen.

Um die Entschärfung zu erleichtern, stellt ACT verschiedene Techniken bereit. Kommt etwa der Satz «Ich bin wertlos» auf, kann man sich sagen: «Ich merke gerade, dass ich den Gedanken habe, wertlos zu sein.» So gelingt es, Abstand zwischen sich und dem Gedanken herzustellen. Manchmal verlieren wir uns regelrecht in unseren Gedanken und versäumen dabei die Gegenwart. Um das zu verhindern, kann Achtsamkeit eine Hilfe sein, ein weiterer Pfeiler von ACT. «Hier geht es darum, sich immer wieder bewusst dem gegenwärtigen Geschehen zuzuwenden», erklärt Jan Martz. Das sei oft nicht einfach und brauche Übung. «Wir Menschen neigen dazu, mit den Gedanken in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu sein. Handlungsfähig sind wir aber nur im jetzigen Moment.»

Ist es gelungen, das innere Ojemine-Gedudel zu akzeptieren, zu entschärfen und im Alltag präsenter zu sein, kann der Mensch besser das umsetzen, was ihm wichtig ist: «Das Ziel ist, sich von seinen Herzenswünschen leiten zu lassen anstatt von seinen Ängsten», sagt ACT-Therapeut Klaus Bader.

Schritt für Schritt

Nicht immer gelinge es den Menschen, auf Anhieb zu benennen, was ihnen wirklich wichtig ist. «Werte wie Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit oder gesunde Ernährung sollten frei gewählt sein und nicht einfach vom Elternhaus oder von der Gesellschaft übernommen werden.» Herauszufinden, ob die eigenen Werte wirklich von Herzen kommen, sei oft der schwierigste Teil, sagt Klaus Bader. Sind die Werte einmal formuliert, werden sie mithilfe des Therapeuten in konkretes Handeln übersetzt. Das bedeutet nicht, dass man gleich sein ganzes Leben umkrempeln muss. «Kleine Schritte, die keine Überforderung darstellen, genügen», sagt Jan Martz.

Eine depressive Patientin, der die Beziehung zu ihrem Mann wichtig ist, kann sich etwa vornehmen, jeden Tag einen kurzen Spaziergang mit ihm zu machen, auch wenn sie sich antriebslos fühlt. Und ein Banker, dem Fürsorge wichtig ist, muss sich nicht gleich zum Sozialarbeiter umschulen lassen. Er kann versuchen, seinen Mitarbeitern helfend zur Seite zu stehen. Oder diesen Wert in anderen Bereichen wie in der Familie umzusetzen. Nicht nur kleine Schritte, auch Fehltritte sind erlaubt, schreibt der englische Psychotherapeut Russ Harris in seinem Buch. «Commitment bedeutet, dass Sie, wenn Sie straucheln oder vom Weg abkommen – was unausweichlich ist –, einfach wieder aufstehen, sich orientieren und weiter in die Richtung gehen, in die Sie gehen wollen.»

Quelle: TagesAnzeiger, 08.12.2017

Written by geraldine

Dezember 8th, 2017 at 2:43 pm

Wer eilt erreicht als erster das Grab.

(Spanisches Sprichwort)

Schnelle Orte, schnelle Firmen, schnelle Menschen. Das Lebenstempo hat weitreichende Konsequenzen für die Lebensqualität. Es beeinflusst die körperliche und seelische Gesundheit der Menschen und des sozialen Wohlbefindens. Aber diese Konsequenzen spalten sich häufig in Plus- und Minuspunkte auf. Jedes Tempo hat Vor- und Nachteile.

Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts bemerkten zwei Herzspezialisten in San Francisco, Meyer Friedman und Ray Rosenman, dass die Herzpatienten in ihrem Wartezimmer angespannter wirkten, als andere Patienten. Genauer gesagt hatten Friedman und Rosenman diese Erkenntnis einem Polsterer zu verdanken, der sie auf die merkwürdige Tatsache hinwies, dass die Stühle in ihrem Wartezimmer lediglich vorn an den Kanten der Sitze abgewetzt waren. Einer spontanen Eingebung folgend leiteten sie ein Untersuchungsprogramm in die Wege, um die bis dahin nahezu unerforschte Frage zu prüfen ob seelischer Stress signifikant zur Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarktes beitragen könnte.

In einer ihrer ersten Untersuchungen prüften Friedman und Rosenman den Cholesteringehalt im Blut von Steuerbeamten von Januar bis Juni. Deren Essverhalten und das Pensum an Bewegung änderte sich in dieser Zeit nicht. Aber in den ersten beiden Aprilwochen, als der Abgabetermin für die Einkommensteuererklärung – der 15. April – und der damit verbundene Stress näherrückten, stieg ihr durchschnittlicher Cholesterinspiegel sprunghaft an, und die Neigung zu Blutgerinnseln nahm zu. Im Mai und Juni waren die Werte wieder auf ihren normalen Stand gesunken.

Die beiden Herzspezialisten schlossen daraus, dass manche Menschen in einer selbsterzeugten Haltung chronischer innerer Spannung leben. Die stressgeplagten Patienten in ihrem Wartezimmer fühlen sich immer wie die Steuerbeamten Mitte April.

Bei Menschen die immer unter Zeitdruck stehen, getrieben sind und sich konkurrenziert fühlen, ist die Wahrscheinlichkeit an einer Herzkrankheit zu erleiden siebenmal höher als anderen Menschen (Levine, 1999). Ein von Eile geprägtes Lebenstempo, schnelles gehen und essen, wenig Geduld und sogenanntes „Multitasking“ gehören zu den Elemente, die Sie zwar „erfolgreich“ (dieser Begriff ist sehr relativ zu verstehen) aber auch hellhörig machen sollten.

Ja, wir leben in einer Zeit in welcher alles schneller gehen soll. Und das ist nicht nur schlecht. Ein hohes Tempo gibt uns das Gefühl von Vitalität und Dynamik, eventuell auch ein Gefühl von Sinn und Erfüllung. Geniessen Sie also die Zeiten in welchen Ihnen die „temporeichen Herausforderungen“ Spass machen und Befriedigung geben. Aber bleiben Sie auch ehrlich: Ab und zu innehalten hat noch nie jemandem geschadet.

 

Written by geraldine

November 9th, 2017 at 1:02 pm

Stressbewältigung – Der Körper braucht Anspannung ebenso wie Entspannung

Die Scheu vor Körperlichkeit scheint trotz allen Fortschritts in unserer medizinischen Kultur noch weit verbreitet zu sein: Der Körper soll beherrschbar sein und mit immer besseren Instrumenten und Medikamenten gesteuert und repariert werden. Manchmal ist das notwendig und sinnvoll. Was dabei jedoch verloren geht, ist die Fähigkeit, instinktives Wissen darüber was uns gut tut und was nicht, einzusetzen. Frühzeitige Warnsignale des Körpers werden nicht mehr erkannt oder auch ignoriert. Erst wenn der Magen schon wieder brennt, die Panikattacken das Leben einengen oder die Rückenschmerzen die tägliche Arbeit unmöglich machen, wollen wir handeln.

Eine bessere Selbstwahrnehmung und das Vertrauen in den Sinn der eigenen körperlichen Regungen zu stärken, ist ein wichtiger Aspekt der Körpertherapie. Dies geschieht vor allem über Gefühle und Empfindungen und weniger über den Intellekt. Ähnlich wie ein Kleinkind, das Berührung, Bewegung und Spiegelung braucht, um zu erfahren, wer es ist und was es kann, kann auch der erwachsene Mensch sein Selbst-Verständnis wieder neu entwickeln und trainieren. Viele Krankheiten, Beschwerden und Stimmungen entwickeln sich über stressauslösende Erfahrungen. Zumeist sind diese nicht in unserem Bewusstsein. Doch der Körper vergisst nicht. Positive wie auch negative Erfahrungen bleiben als Körpererinnerung in Form von Gefühlen, Spannungszuständen, Ahnungen oder inneren Bildern gespeichert.

Eine fundierte Körpertherapie führt Sie deshalb behutsam in eine Art vorsprachliche Empfindungswelt zurück. Der Körper kann so seine Art zu reagieren neu erkunden. Diese Körper-Selbst-Erfahrung regt Ihr System dazu an, bewusst und vegetativ wieder auf seine ureigenen alten, „gesunden“ Reaktionsweisen zurück zu greifen. So kann die Selbstregulierung des Körpers wieder erwachen und Stress verursachenden Konflikten kann auf andere Art begegnet werden.

 

Die physiologische Basis: Der Körper braucht Anspannung ebenso wie Entspannung

Stress ist auf vielfältige Weise fester Bestandteil unseres Lebens: Hunger verursacht Stress, Kälte und Hitze machen Stress, Einsamkeit sowie unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit sorgen für Stress. Und ebenso leiden wir unter Stress, wenn wir den Arbeitsplatz verlieren, wenn wir uns streiten, den Tod eines Partners verkraften müssen oder mit anderen traumatisierenden Erlebnissen konfrontiert sind. Stress kann krank machen und Krankheit bedeutet für den Körper ebenfalls Stress. Unser Körper reagiert darauf mit der Ausschüttung so genannter Stresshormone. Diese waren zu Urzeiten des Menschen u. a. dazu da, die Energiereserven des Körpers etwa für die Flucht vor oder den Kampf mit einem wilden Tier zu mobilisieren.

Stresshormone sind in der Lage, einen Menschen für eine bestimmte Zeit über sich und seine Kräfte hinaus wachsen zu lassen. Ebenso vermögen sie es, ihn in die Starre eines erjagten Tieres zu versetzen.

Sofern nach besonderen Belastungen Phasen der Entspannung, des Wohlfühlens oder des Geniessens einsetzen können, kann unser Organismus von Zeit zu Zeit mit Stressbelastungen durchaus gut umgehen. Schwierig wird es dagegen, wenn Konflikte chronisch ungelöst bleiben. Dann nämlich werden Stresshormone nicht mehr abgebaut sondern fortwährend neu ausgeschüttet. Auf diese Weise versetzen sie den Körper in den Alarmzustand andauernder Über- oder Unterspannung. Der Körper lebt unter Dauerstress viel zu lange Zeit über seine Kräfte oder leidet unter zu wenig Antrieb. Dabei verfestigen sich körperliche und geistige Haltungen, die den Zweck haben, alte Schmerzen, seelische Verletzungen oder andauernde Verspannungen nicht mehr in aller Tragweite zu spüren. Es entstehen innere und äussere Schonhaltungen, die uns längerfristig aus dem Gleichgewicht bringen und psychische oder psychosomatische Beschwerden auslösen.

 

Stressbewältigung durch Körpertherapie

Mittels der Körpertherapie finden Sie Möglichkeiten, zur Stressbewältigung. Entspannung und Gelassenheit (wieder-)zuerlernen können dabei ebenso wichtig sein wie die Entdeckung von Neugierde und Begeisterung. Die Wiederherstellung eines gesunden physiologischen und psychischen Gleichgewichts bedeutet, das „Zuviel“ zu mindern das „Zuwenig“ zu stärken.

Written by geraldine

Oktober 10th, 2017 at 1:48 pm

Willkommen im Hier und Jetzt – Vom Umgang mit Schmerzen

Viele von uns haben, bedingt durch unsere Lebensumstände, Gelassenheit und Achtsamkeit verloren (oder auch nie gehabt). Wir reden schnell, handeln schnell und unsere Gedankenkarussell halten uns vom Schlafen ab. Getrieben von Gedanken und gepeinigt von Schmerzen – Alltag der westlichen Gesellschaft. Aber es kann auch anders sein!

Am Universitätsklinikum Freiburg wurde anhand verschiedener Studien mit chronischen Schmerzpatienten nachgewiesen, dass sich das Schmerzempfinden der Patientinnen und Patienten um ein Vielfaches verbessert, wenn sie an einem achtwöchigen Gruppen- oder Einzelkurs in achtsamkeitsbasierender Stressbewältigung (MBSR) teilnahmen. Sie übten sich in Meditation, Körperwahrnehmung und Yoga und lernten dabei, anders mit ihren physischen Symptomen umzugehen. Dieselben physischen Zustände wurden anschliessend als wesentlich weniger wahrgenommen. Bei einer Kontrollgruppe, die lediglich Entspannungsübungen machte und psychologisch begleitet wurde, hatte sich das Schmerzempfinden kaum verändert. Es waren also die Wahrnehmungs- und Achtsamkeitsübungen, die den Schmerzpatienten zu einem besseren Lebensgefühl verhalfen. Sie ermöglichten ihnen, dieselben physischen Zustände anders zu bewerten. Die Patientinnen und Patienten eroberten sich durch die Aufmerksamkeitsübungen die Freiheit zurück, ihre Körperwahrnehmungen nicht unmittelbar als Schmerz interpretieren zu müssen (Knapp, 2008).

Der Leiter des Freiburger Forschungszentrums, Stefan Schmidt, erläuterte das Ergebnis mit folgender Formel: Leiden = Schmerz x Widerstand. Sogar chronischer Schmerz ist also keine rein physische Angelegenheit. Diese Aussage ist sehr deutlich. Ein Schmerz führt zu physischer und psychischer Anspannung, je grösser diese wird, desto intensiver zeigt sich der Schmerz. Die spiralförmige Aufwärtsbewegung führt irgendwann zu daraus resultierendem Leiden. Egal wie intensiv und langanhaltend sich Schmerz und / oder Anspannung zeigt; wenn eine Aufwärtsbewegung möglich ist, gibt es auch eine Abwärtsbewegung:

Ein bewusstes Sein im Hier und Jetzt ist ein zentraler Aspekt in der Stressbewältigung. Dies erfolgt nicht über irgendeine abgehobene Art von Heilkunst, sondern über das eigene Körpergewahrsein. Lernen wir unsere körperlichen Empfindungen (wie etwa Druck, Enge, Leere, Dichte, fliessen, kribbeln etc.) zu benennen, schafft dies eine sichere Verbindung zur Gegenwart. Die Wahrnehmungen auf besagter Ebene entsprechen jenen des limbischen Systems und somit den Wahrnehmungen unserer Urinstinkte. In dem wir diesen Empfindungen wieder Raum geben und über die Zeit lernen, sie schnell und präzise zu benennen, erfahren wir so etwas wie ein „Wieder-angeschlossen-sein“, eine Entschleunigung und ein besseres Gefühl für uns selbst.

Written by geraldine

August 25th, 2017 at 1:16 pm

Salutogenese – Erhaltung unserer Gesundheit

SelbstregulationEs ist eine herausragende Fähigkeit des menschlichen Organismus, sich an die unterschiedlichsten Lebensbedingungen anzupassen. Doch oftmals stehen diesem Prozess die unterschiedlichsten Hindernisse und Schwierigkeiten im Weg. Die Anpassung misslingt, der Organismus gerät in ein Ungleichgewicht und wird krank.

Viele Menschen leiden an einer Form von Überwältigung und Überflutung. Ein permanentes Empfinden von „zu schnell, zu viel, zu intensiv“ führt bei vielen Menschen irgendwann zu einem Verlust des gesunden Selbstkontaktes und verhindert die natürliche Regulation.

Aus meiner Sicht ist Vitalität ein dynamischer Prozess, in welchem sich der Mensch zu jedem Zeitpunkt des Lebens zwischen den Polen Gesundheit und Krankheit bewegt. Die Heterostase, also das Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Polen, ist für uns Menschen der Normalzustand.

Das Interessante dabei ist aber, dass zwei Personen mit gleichem Zustand diesen ganz unterschiedlich erleben können. Der eine fühlt sich „sehr krank“ und dem anderen geht es „wunderbar“. Gesundheit ist also immer auch eine subjektiv erlebte Befindlichkeit.

Was also heisst die Differenzierung zwischen Pathogenese und Salutogenese für uns? Was bedeutet das im Alltag und was genau hat dies mit der komplementärtherapeutischen Haltung zu tun?

Kein Schwarzweiss- bzw. Entweder-Oder-Denken

Verständnis vom Leben als ein fliessender Prozess in seiner inhärenten Bewegung mit den dazugehörenden Höhen und Tiefen

Das bewusste sich Einlassen auf eine salutogenetische Grundhaltung bringt eine offenere Haltung sich selbst und gegenüber anderen mit sich

Diesen Ansatz versuche ich in meiner therapeutischen Tätigkeit zu vermitteln.

 

Written by admin

Juni 23rd, 2017 at 9:23 am

Offline – einfach einmal nicht erreichbar

Arbeiten im Park, auf dem Sofa oder von unterwegs.

Für diese Flexibilität zahlen wir einen hohen Preis. Den wenigsten von uns gelingt eine konsequente Trennung zwischen on- und offline. Auch in der sogenannten Freizeit. Immer wieder einmal einen Blick auf’s Handy: Bahnverbindungen, Wetterbericht, aktuelle News. Und, ganz nebenbei, SMSen beantworten, Emails lesen, Voicemail abhören.

Genaugenommen sind wir also räumlich flexibel geworden, nicht aber in unserem inneren Gefühl von Freiheit. Im Gegenteil.

Wollen Sie abschalten? Dann gibt es nur eins: AUSSCHALTEN.

Written by admin

Mai 9th, 2017 at 4:39 pm

Stress. Eine individuelle Reaktion.

Wir alle kennen Stresssituationen: Eine hohe Belastung am Arbeitsplatz, privates Engagement, finanzielle Verpflichtungen; manchmal wird es einfach zu viel. Aber es gibt auch Momente in welchen wir das Gefühl von Stress zu empfinden obwohl es keine rationalen Gründe dafür gibt. Warum ist das so und was steckt dahinter?

Alle unsere Erfahrungen, positive wie auch negative, lösen sich nicht in „Luft“ auf, sondern addieren sich zu gespeicherten Gedächtnisinhalten in sogenannten Nervenzell-Netzwerken. Diese wiederum werden teilweise unbewusst abgerufen.

Im Moment der Ausrufung des Alarmsystems setzt im Grosshirn und im limbischen System eine massive Aktivierung von Genen ein. Die zuerst aktiven Gene gehören zur Gruppe der Sofortreaktionsgene, deren Produkte nach dem Schneeballsystem innerhalb der Zelle dann weitere Gene aktivieren.

Nervenzellen, die während einer Gefahrensituation aktiviert werden und bestimmte Gene anschalten, tun etwas für deren Selbsterhaltung. Die Proteine, die im Rahmen der Aktivierung von Genen hergestellt werden, dienen den Nervenzellen als Wachstumsfaktor und verstärken die Kontaktstellen, mit denen die Nervenzellen untereinander vernetzt sind.

Stellen Sie sich diese Nervenzellverbindungen einfach als einen dünnen Faden vor. Wird diese Verbindung immer wieder aktiviert, so wird sie stärker. Aus einem dünnen Faden wird ein dickes Seil.

Diese Nervenzell-Netzwerke werden somit als Folge ihrer Tätigkeit stabilisiert. Diese sind bedeutsam: Wenn sich alarmierende Erfahrungen oder Niederlagen im Leben eines Menschen häufen, werden die darauf spezialisierten Nervenzell-Netzwerke die Oberhand gegenüber anderen Netzwerken bekommen, deren Spezialität darin besteht, die Chancen und Bewältigungsmöglichkeiten einer Situation zu erkennen.

Einschneidende oder oft wiederholte Vorerfahrungen von Gefahr, Niederlage, Angst und Flucht verändern neuronale Netzwerke also in der Weise, dass Interpretation künftiger neuer Situationen Interpretationen die Oberhand haben, die wiederum in die gleiche Richtung gehen.

Eine solche Entwicklung aufzuhalten oder rückgängig zu machen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gesprächs- und Körpertherapie.

Nicht nur unsere ersten Lebensmonate, sondern auch jene im Mutterleib prägen unser hormonelles System. Ist eine Frau während der Schwangerschaft unter psychischem oder physischem Stress, wirkt sich das direkt auf das Stresssystem des Ungeborenen aus. Ist nach der Geburt genügend mütterliche Zuwendung durch Berührung und Nähe vorhanden, wird das Stress-Gen deutlich weniger aktiviert.

Die grosse Unterschiedlichkeit individueller Vorerfahrungen hat zur Folge, dass die Reaktion der neurobiologischen Stresssysteme von Person zu Person sehr verschieden ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass Personen welche dem gleichen Ausmass an Stressintensität ausgesetzt sind, in der körperlichen Verarbeitung sehr unterschiedlich reagieren. Ebenfalls haben Untersuchungen an Zwillingen eine individuelle Stressreaktion gezeigt. Der Umgang mit Stress ist also nicht genetisch und somit nicht vererblich. Das verstärkt die Bedeutung der individuellen Vorerfahrung.

Dass zwischenmenschliche Bindungen die biologischen Stresssysteme schützen, gilt nicht nur für das Kind, sondern auch im späteren Leben. Bindungen und soziale Unterstützung haben sich in zahlreichen Studien als einer der wichtigsten Schutzfaktoren gegenüber extremen Ausschlägen der biologischen Stressreaktionen erwiesen.

Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaft mögen schockierend sein, beinhalten aber auch die Chance zum Bewussten Handeln und Erleben. Das wirksamste Mittel für einen guten Umgang mit Stress sind also Begegnung, Beziehung und Berührung.

Müde und ausgebrannt: Burnout

Entgegen der weitläufigen Meinung, ist Burnout nicht eine Krankheit, sondern ein Zustand körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung. Meist wird dieser Zustand durch berufliche Überlastung und Stress ausgelöst. Ein Gefühl von „Ausgebranntsein“ und der totalen Erschöpfung, machen die Bewältigung des Alltags schwer.

Aber was für Symptome lassen uns von einem „Burnout“ reden? Bezeichnend ist die emotionale Erschöpfung. Diese resultiert aus einer übermässigen emotionalen oder physischen Anstrengung oder Anspannung. Man fühlt sich schwach, kraftlos, müde und matt. Antriebsschwäche und leichte Reizbarkeit zeigen sich des öfteren als zusätzliche Begleiter. Desweiteren kommt die sogenannte „Depersonalisierung“ dazu. Gerade Personen welche mit Kunden, Klienten oder Patienten arbeiten, können bei Überlastung eine enorme Distanz zwischen sich und ihrem Gegenüber aufbauen; zunehmende Gleichgültigkeit und teilweise zynische Einstellungen gegenüber dem Vis-à-Vis erschweren die Situation zusätzlich. Die Arbeit kann nur noch durch Routine und Monotonie erledigt werden. Das Erleben von Misserfolgen ist das sogenannte „Pünktchen auf dem i“. – Betroffene fühlen sich häufig wie Hamster im Drehrad. Sie haben trotz der zunehmenden Überlastung häufig das Gefühl nichts zu erreichen oder bewirken. – Steigende Anforderungen und abnehmende Belastbarkeit, schwächen die Leistungen. Erfolgserlebnisse fehlen und der Glaube an den Sinn der eigenen Tätigkeit verliert an Relevanz.

Die Entwicklung von Massnahmen zur Vorbeugung und Behandlung besteht darin, Ausgleich zu schaffen. Entspannungs-, Atem- und Meditationsübungen sowie verschiedene sportliche Aktivitäten helfen. Dennoch treffen diese nicht den Kern des Problems. Bei einem Burnout handelt sich um ein subjektiv wahrgenommenes Auseinanderklaffen von externen (beruflichen) Anforderungen und individuellen Fähigkeiten; verbunden mit dem Gefühl der Ohnmacht.

Howard Gardner, Professor für Psychologie an der Harvard University liefert den Ausgangspunkt zum Konzept der sogenannten Selbststeuerung. Seiner Erkenntnis nach, basiert die Führung der eigenen Person auf drei fundamentalen Fragen 1. „Wer bin ich?“, 2. „Was will ich?“, und 3. „Wie erreiche ich effizient meine Ziele?“

Bestehen Unsicherheiten zur ersten Frage und damit über die eigene Identität, sind Auswirkungen im Selbstwertgefühl wahrnehmbar. Denn: Wenn jemand seine Stärken und Fähigkeiten nicht kennt und auch kein Rückmeldungen einfordert, können Selbst- und Fremdbild auseinander klaffen.

Eine Antwort auf die zweite Frage (Was will ich?) ist deswegen so wichtig, weil klare Ziele unsere mentale Energie mobilisieren. Fehlende Ziele, Werte und Perspektiven hingegen können teilweise erschreckend schnell zu emotionaler Erschöpfung führen.

Die dritte Frage nach der effizienten Vorgehensweise zur Zielerreichung zielt auf die Leistungsfähigkeit. Dahinter verbirgt sich das ökonomische Prinzip des sparsamen Umgangs mit mentalen und zeitlichen Ressourcen.

Der Lösungsansatz zur Bewältigung eines Burnout-Syndroms ist also mit existentiellen, teilweise sogar philosophischen Fragen verbunden. Das Thema des „sich mit seinem echten Menschsein“ auseinander zu setzen, steckt in unseren Breitengraden noch in den Kinderschuhen. Und dennoch: Eigenverantwortung lässt sich schlecht in Kinderschuhen tragen…

Am Rande bemerkt: Das Burnout-Syndrom kann ähnliche Symptome wie das Boreout-Syndrom aufweisen. Dieser Begriff (engl. Bore = langweilen) bezeichnet einen Zustand der beruflichen Unterforderung und Unzufriedenheit. Hohe Geschäftigkeit und reduzierte Leistungsfähigkeit sowie emotionale Erschöpfung begleiten hier den Alltag.

Lesen Sie mehr darüber im kommenden Post!

Warum wir Berührung brauchen

Die Neurobiologie hat in den vergangenen Jahren hinlänglich den Beweis für den Menschen als soziales Wesen erbracht. Er ist genetisch darauf programmiert, Kontakte zu knüpfen, Kooperationen zu leben und Beziehungen einzugehen. Hormone, resp. Neurotransmitter wie etwa Dopamin (im Volksmund Glückshormon) oder Oxytozin leisten entsprechende Hilfestellung. Die Dopamin-Achse, das Kernstück der Motivationsachse, erhält von den Emotionszentren des Gehirns Informationen darüber, ob in der Aussenwelt Objekte vorhanden sind, für die es sich lohnt, aktiv zu werden. Die Bildung des Oxytozins hingegen wird über alle Formen der freundlichen Interaktion angeregt. Dies sind namentlich Streicheleinheiten, Berührungen, Massagen oder die Stimulation der erogenen Zonen.

Oxytozin hat eine Reihe von medizinischen Effekten: Es sorgt für körperliche und psychische Entspannung, senkt den Bluthochdruck, dämpft die Angstzentren und vermag das Stress-System zu beruhigen.

All diese Ausführungen klingen plausibel. Sind also einzig die Gene für unser Glücklichsein verantwortlich? Für das Funktionieren unserer Beziehungen oder für unsere Ausgewogenheit? Leider nein. Die genetische Ausstattung kann lediglich garantieren, dass die neurobiologischen Werkzeuge dafür vorhanden sind. Entscheidend für die Fähigkeit, genetisch bereitgestellte Systeme auch einzusetzen, ist, ob sie – vor allem in der Frühphase des Lebens – eingespielt und benutzt werden konnten.

Als Erwachsene können wir selbst daran mitwirken, dass Kooperation gelingt. Als Neugeborene und als Kinder sind wir jedoch darauf angewiesen, dass uns gute zwischenmenschliche Erfahrungen vermittelt werden. Für das Funktionieren und Instandhalten aller biologischen Systeme gilt ein Satz aus der amerikanischen Hirnforschung: „Use it or lose it“, also „Benutze was die Gene bereitstellen, oder du wirst sie verlieren“. Für die Motivationssysteme heisst das: Bleiben während der Kindheit und Jugend gute Beziehungserfahrungen aus, hat dies fatale Folgen für die spätere Beziehungsfähigkeit der betroffenen Individuen.

Tiffany Field, Direktorin und Gründerin des Touch Research Institutes in Miami, Florida, bringt die neurobiologischen Vorgänge und entsprechende Konsequenzen auf den Punkt. Sie macht deutlich, dass man sich Körperkontakt nicht einfach als angenehmen Zeitvertreib gönnen sollte, sondern dass dieser existentieller Natur ist. Ein chronischer Mangel an Berührung beeinträchtigt nicht nur körperliche und geistige Entwicklungsprozesse, sondern fördert auch aggressives, selbstzerstörerisches oder sogar süchtiges Verhalten. In kritischen Phasen wie dem Säuglingsalter, der frühen Kindheit und dem Alter oder in Zeiten schwerer körperlicher Erkrankung, kann der fehlende Körperkontakt die Lebenskräfte und den Lebenswillen so massiv reduzieren, dass nicht nur Säuglinge, sondern auch erwachsene Menschen regelrecht verkümmern und zugrunde gehen.

In einer Welt, in der wir uns immer häufiger nicht direkt – also körperlich – begegnen, sondern über Zwischenmedien wie Mobiltelefon oder Internet kommunizieren, laufen wir Gefahr, in einem der wesentlichsten Bereiche unserer Existenz auszuhungern, ohne dass uns dies bewusst wird. Die medizinischen, psychologischen und soziologischen Erkenntnisse über die dramatischen Auswirkungen, die das Fehlen ausreichender körperlicher Zuwendung nicht nur auf die Qualität, sondern gar auf das Fortbestehen des Lebens hat, sprechen für sich. Anschaulich zeigen sich die Auswirkungen von Berührung/die Erwartung der Berührung (oder dem Mangel daran) auf den Hormonstatus resp. die Neurotransmitter (zum Beispiel Dopamin/Oxytozin u.a.). Untersuchungen von Tiffany Field lassen keine Zweifel, dass Berührung signifikant auf die individuelle Schmerzverarbeitung, die Selbstheilungskräfte und das Wohlbefinden wirkt. “Bei allen von uns bis heute gemachten Experimenten, zeigt sich der positive Effekt der Massage als signifikant. Wir haben kein einziges Beschwerdebild untersucht – inklusive Krebs – bei welchem sich der Effekt des Wohlbefindens, der Beruhigung und der Schmerzlinderung nicht nachweislich gezeigt hätte.”